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16.10.2013 | Zeit online
Schwarz-Grün
Schön, dass wir drüber geredet haben
 


Schlussendlich kam es wie erwartet: Union und Grüne werden keine Koalition bilden. Und dennoch hatte der Verhandlungsabend auch Überraschendes zu bieten. VON 


Am Ende hat Jürgen Trittin doch nicht ganz recht behalten. Ob er mit Überraschungen bei der zweiten Sondierungsrunde zwischen Grünen und Union rechne, war der Exfraktionsvorsitzende am Dienstagabend gefragt worden. Der zum linken Flügel zählende Trittin, der ein schwarz-grünes Bündnis sehr kritisch sieht, antwortete:  "Dass wir gegen Schweden gewinnen."

Gemeint war natürlich nicht die grüne Partei, sondern die Fußballnationalmannschaft. Doch auch wenn der deutsche Sieg in dem zeitgleich zu den Sondierungsgesprächen ausgetragenen Spiel tatsächlich eintrat, er blieb bei Weitem nicht die einzige Überraschung.

Die eigentliche Entscheidung des Abends fiel allerdings genau so aus, wie es allgemein erwartet worden war: Trotz siebenstündigen Verhandlungsmarathons wird die grüne Parteiführung ihrem am Samstag tagenden Parteitag keine Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union empfehlen. Eine schwarz-grüne Regierung wird es in naher Zukunft also nicht geben. 

Viel besser als geglaubt

Überraschend scheint für beide Parteien gleichwohl  gewesen zu sein, dass sie sich weit besser verstanden hatten, als zuvor angenommen worden war. Das erste Mitglied der Verhandlungsdelegationen aus 22 Personen, das gegen 0:20 Uhr am frühen Mittwochmorgen die Parlamentarische Gesellschaft verließ, war Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich (CSU), der einer allzu großen Nähe zu den Grünen bisher unverdächtig war. "Viel, viel besser als beide Seiten geglaubt haben", seien die Verhandlungen gewesen, berichtete er gleichwohl.

Als "sehr sachlich und tiefgehend", beschrieb auch CSU-Chef Horst Seehofer die Atmosphäre. "Wir hätten die Streitpunkte für überwindbar gehalten." Unüberbrückbare Gegensätze habe es nicht gegeben, bekräftigte wenig später für die CDU auch Generalsekretär Hermann Gröhe. Stellt zugleich aber auch klar: Steuererhöhungen im von den Grünen geforderten Ausmaß hätte die Union nicht mitgetragen. 

Sein Counterpart von der CSU, Alexander Dobrindt, der einer schwarz-grünen Koalition immer besonders skeptisch gegenüber stand, konnte sich die Gelegenheit für einen kleinen Seitenhieb dann doch nicht entgehen lassen. Es sei doch schön, "dass die Grünen das Wahlergebnis verstanden haben", sagte er unter Anspielung auf die bei den Grünen derzeit stattfindende inhaltliche und personelle Neuausrichtung. 

Doch nicht nur die Union, auch Grünen-Parteichef Cem Özdemir und Noch-Vorsitzende Claudia Roth zeigten sich von der Atmosphäre der Gespräche durchaus angetan. Anders als bei den Verhandlungen zwischen SPD und Union kam es am Dienstagabend dem Vernehmen nach auch nicht zu emotionalen Ausbrüchen.  

Özdemir übt Selbstkritik


Özdemir war gar so überrascht vom Verlauf der Verhandlungen, dass er Anlass sah, sich selbst zu korrigieren. Vor den Gesprächen hatte er noch gesagt, CDU und CSU seien zwei deutlich verschiedene Parteien. Soll heißen, mit der CDU sei ja vielleicht manches machbar, mit den Hardlinern aus Bayern aber nicht. Nun dagegen betonte er, beide Parteien hätten mit einer Stimme gesprochen. Und er hängte ganz ausdrücklich ein "leider" an, als er hinzufügte, dass aus Sicht der Grünen die Voraussetzungen für eine schwarz-grüne Koalition gleichwohl nicht gegeben gewesen seien.

Einstimmig habe die grüne Delegation den Entschluss gefasst, dass eine Regierungsbildung trotz der positiven Atmosphäre und des teilweisen Entgegenkommens der Union nicht möglich sei. Die Tatsache, dass es nach dem Ende der Sondierungen anderthalb Stunden dauerte, bis diese Entscheidung fiel, könnte aber auch daraufhin deuten, dass durchaus nicht alle Delegationsmitglieder von Anfang an diese Einschätzung teilten.

Zehn Großkomplexe standen auf der Tagesordnung. Entgegenkommen hatte die Union vor allem bei gesellschaftspolitischen Fragen signalisiert, so etwa bei der von den Grünen gewünschten doppelten Staatsbürgerschaft. Auch bei der Klimapolitik habe es Bewegung gegeben. In Sachen Massentierhaltung habe die Union ebenfalls neue Positionen bezogen, auch bei einer Ausweitung der Lkw-Maut hätte man sich wohl einigen können.  

Methode Merkel

Daneben gab es aber eben auch zahlreiche Punkte, bei denen aus grüner Sicht keine Annäherung erkennbar war. Roth nannte als Beispiele den Mindestlohn, die Vorratsdatenspeicherung, die Gleichstellung von Homosexuellen im Eherecht oder die von den Grünen geforderte Bürgerversicherung.

"Vieles blieb diffus", klagte Roth. Die Grünen störten sich an der von Bundeskanzlerin Angela Merkel bekannten Methode, sich nicht zu eindeutig festzulegen, heißt es aus Verhandlungskreisen. Einerseits habe die Union sich beweglich gezeigt, doch wenn es konkret werden sollte, sei sie ausgewichen. Dies gelte auch für die Finanzierung vieler Vorhaben. 

Am Ende konnten beide Seiten den gescheiterten Gesprächen doch noch etwas Gutes abgewinnen. "Wir sind uns für die Zukunft näher gekommen", sagte Seehofer. Diese Verhandlungen seien auch für das künftige Verhältnis von Union und Grünen von Bedeutung. Die Grünen sehen dies ganz ähnlich.

Auch wenn es diesmal also noch nichts geworden ist, eine neuerliche Sondierung 2017 könnte vielleicht anders ausgehen. Im Übrigen, wer weiß denn schon, ob nicht die SPD-Mitglieder ihrer Parteiführung doch noch einen Strich durch die Rechnung machen und entweder schon die Aufnahme von Koalitionsgesprächen oder am Ende deren Ergebnis ablehnen.

Dann könnten Grüne und Union schneller als geplant die Beständigkeit ihrer neu erwachten Zuneigung testen müssen. 

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