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14.01.2012 | Bundesregierung
Landarzt gemeinsam mit Schwester Agnes unterwegs
 

 

Mehr Ärzte aufs Land oder in strukturschwache Gebiete zu bekommen, ist erklärtes Ziel der Bundesregierung. Das von der Bundesregierung dafür vorgelegte und vom Bundestag beschlossene Versorgungsstrukturgesetz ist seit Anfang des Jahres in Kraft.

Wie die Lage derzeit in Brandenburg ist und was sich ändern muss, erläutert Ralf Herre von der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg.

Stichwort Ärztemangel auf dem Land: Wie sieht die Situation der ambulanten ärztlichen Versorgung derzeit aus?

Wir haben in Brandenburg zur Zeit etwa 1.600 Hausärzte. Davon ist der überwiegende Teil in ländlichen Regionen tätig. Über 23 Prozent der Hausärzte sind 60 Jahre und älter. Im Jahr 2004 waren das noch 30 Prozent. Es ist uns in den letzten fünf Jahren gelungen, jüngere Hausärzte in ländlichen Regionen anzusiedeln. Aber: 123 Stellen sind unbesetzt. Das heißt, Hausarztpraxen wurden geschlossen, ohne dass sie einen Nachfolger haben. Zusätzlich haben wir das Problem, dass die Bevölkerung, vor allem in sehr ländlichen Gebieten, stark zurück geht. Dort könnten wir bei einer Neubesetzung nicht garantieren, dass in fünf oder zehn Jahren noch genügend Patienten da sind.

Was muss sich ändern um eine wohnortnahe medizinische Versorgung zu gewährleisten? Im neuen Versorgungsgesetz werden flexible Bedarfsplanung oder Anreize im Vergütungssystem genannt.

Genau das sind die Stichworte. Das muss sich ändern, in der von Ihnen genannten Reihenfolge. Wir haben es zum einen mit flächenmäßig sehr großen Landkreisen zu tun, die sehr unterschiedlich besiedelt sind. Zum anderen kann es innerhalb eines Landkreises sehr unterschiedlich versorgte Regionen geben. Deshalb ist es für uns notwendig, in kleinräumigeren Regionen zu planen. Also flexibel und vor allem an der Morbidität (Anteil Erkrankter pro Bevölkerung) orientiert. Das ist wichtig, weil in Brandenburg, im Gegensatz zum Bundesdurchschnitt, sechs bis acht Prozent mehr 65-Jährige und Ältere leben.

Wir brauchen ein engeres Zusammenspiel von ambulanter und stationärer Versorgung. Den Menschen sind unterschiedliche Modalitäten der Abrechnung egal, sie möchten medizinisch versorgt werden.

Im ZDF läuft seit Jahren die beliebte Serie "Der Landarzt". Mit der Realität hat das wenig zu tun. Wie sieht der durchschnittliche Arbeitstag eines Landarztes aus?

Ein Hausarzt hat in der Regel täglich sechs bis acht Stunden Sprechstunde. Außerdem muss er am Tag circa zweieinhalb Stunden für Abrechnung und Buchführung einplanen. An zwei Tagen in der Woche, in der Regel Mittwoch und Freitag, ist er am Nachmittag zu Hausbesuchen unterwegs. Zu chronisch Kranken oder Patienten, die nicht mehr selbst in die Praxis kommen können. Dass er auch nach Hause kommt ist ja, Gott sei Dank, ein Kennzeichen für den Hausarzt. Zusätzlich hat der Hausarzt in Brandenburg im Durchschnitt drei bis vier Mal im Quartal Bereitschaftsdienst. In der Woche von 19 Uhr bis 7 Uhr morgens und am Wochenende 12 bis 24 Stunden.

Eine Praxiseröffnung oder Praxisübernahme auf dem Land erscheint in den Augen vieler angehender Ärzte immer weniger attraktiv. Warum ist das so? Welche Anreize werden geschaffen, um frei werdende Arztstellen neu zu besetzen?

Höchstens 25 Prozent der heutigen Medizinstudenten können sich vorstellen, einmal Hausarzt zu werden. Gründe dafür sind unter anderem, dass im Studium die Allgemeinmedizin keinen hohen Stellenwert hat. Ein weiterer Grund, ist eine nicht vorhandene oder stark reduzierte, Infrastruktur in ländlichen Regionen. Fehlende Arbeitsplätze für Partner sowie fehlende Schulen und Ausbildungsplätze für Kinder.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind ganz entscheidende Kriterien für junge Ärzte. Wir haben es heute mit einer anderen Ärztegeneration zu tun. Für sie spielt die Balance zwischen beruflicher Tätigkeit, Familie und Freizeit eine viel größere Rolle als für Ärzte vor 30 Jahren.

Deshalb legt die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg seit einigen Jahren ein besonderes Augenmerk auf die Zusammenarbeit mit den Kommunen. Bedingungen für die Niederlassung junger Ärzte sollen verbessert werden. Die Kommunen sind inzwischen in einer Art Wettbewerb: Wer bietet die besten Voraussetzungen? Ein junger Allgemeinarzt ist heute in der Situation, sich unter vielen Regionen eine auszusuchen, die am besten zu ihm passt. Das macht es für Brandenburg nicht einfacher. Ein weiterer Anreiz ist die Vergütung. In Brandenburg liegt seit 1990 die Vergütung von Hausärzten im Verhältnis zu den Fachärzten im oberen Drittel. Das ist nicht in allen Bundesländern so.

Das neue Gesetz sieht Regelungen zur Verkürzung der Wartezeiten vor. Wie soll das gehen, außer mit einer größeren Anzahl zugelassener Ärzte?

Es gibt sehr fragwürdige Terminvergaben. Keine Frage. Das gilt aber nicht für alle Fachärzte. Eine repräsentative Befragung hat ergeben, dass 32 Prozent gesetzlich Versicherte und 37 Prozent privat Versicherte nicht auf einen Facharzttermin warten mussten. Eine Wartezeit von zwei bis drei Tagen gaben 12 Prozent an. Bei Wartezeiten müsste man differenzieren, ob es sich um akute Fälle handelt oder Vorsorgetermine. Ein Vorsorgetermin in zwei bis drei Monaten wäre ja kein Problem. Bei akuten Situationen ist das anders. Schwierigkeiten haben wir im diagnostischen Bereich, Röntgen zum Beispiel. Aber auch im psychotherapeutischen Bereich. Aber das ist seit einiger Zeit bundesweit ein Problem.

Von gesetzlichen Regelungen zu Wartezeiten halte ich nichts. Entweder weniger Leute nehmen einen Arzt in Anspruch oder wir bekommen mehr Ärzte, anders ist das im Grunde nicht zu machen.

Die Fernsehfigur "Schwester Agnes" kennt fast jeder. Wäre es nicht möglich, bestimmte medizinische Leistungen an Pflegekräfte zu delegieren?

Anders als in Skandinavien, haben wir in Deutschland ein sehr auf den Arzt orientiertes Gesundheitssystem. Die Delegierung von medizinischen Leistungen ist bei uns strittig. Wir sind in Brandenburg der Meinung, dass es nicht um Arzt ersetzende Leistungen gehen kann, sondern um unterstützende und entlastende. Das können Hausbesuche sein, um zu schauen ob der Patient seine Medikamente einnimmt. Oder Verbände wechseln, spritzen... Alles was examinierte Pflegekräfte tun dürfen. So ähnlich wie die Schwester Agnes, die mit ihrer Schwalbe über die Dörfer fuhr. In Brandenburg gibt es jetzt ein Modellprojekt "agneszwei" mit unterstützenden Aufgaben in Arztpraxen. Hier geht es um eine Entlastung des Arztes, aber auch um Unterstützung für den Patienten. Wir haben es in den Praxen zunehmend mit älteren, multimorbiden (mehrfacherkrankten) Patienten zu tun. Hier hilft "agneszwei" Termine zu vereinbaren, Rehabilitations- und Heilmittelanträge zu stellen und Überweisungen zum Facharzt zu fertigen.

Die Fragen stellte Sabine Kahn-Juchem.

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