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22.10.2012 | Deutschlandfunk
Mehr Videoüberwachung als Schutz
Diskussion über gewaltsame Übergriffe an öffentlichen Plätzen
 

 

Eva Högl im Gespräch mit Doris Simon

Mehr Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen fordert Bundesinnenminister Friedrich nach der tödlichen Attacke auf einen Mann am Berliner Alexanderplatz. Die SPD-Politikerin Eva Högl, Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss, unterstützt dies prinzipiell - plädiert aber auch für städtebauliche Maßnahmen.

Doris Simon: Am Telefon ist jetzt die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl, Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss. Frau Högl, guten Morgen erst mal.

Eva Högl: Guten Morgen, Frau Simon.

Simon: Sie haben Ihren Wahlkreis im städtischen Berlin, in Wedding. Mehr Kameras an öffentlichen Orten, wo es zu mehr Konflikten, mehr Kriminalität als anderswo kommt, bringt das auch mehr Sicherheit?

Högl: Ja, ich tue mich ein bisschen schwer damit, jetzt überall Kameras zu fordern. Aber sicherlich ist es richtig, an besonders unübersichtlichen Plätzen, oder an Plätzen, die in der letzten Zeit aufgefallen sind, dadurch, dass dort vermehrt Gewalt ausgeübt wurde, aufzustellen, um die Strafverfolgung zu ermöglichen, die Täter schnell zu finden. Und sicherlich auch, um abzuschrecken. Aber wir sollten mit dieser Forderung sehr vorsichtig umgehen.

Simon: Das heißt, ganz praktisch werden Sie dafür eintreten, auch gegenüber Ihren Kollegen in der Partei, die absolut dagegen sind?

Högl: Ja, wir müssen das diskutieren. Wir hatten jetzt vermehrt in der letzten Zeit schlimme Gewaltexzesse und wir müssen darüber diskutieren, ob es nicht doch sinnvoll ist, auch in der S-Bahn in Berlin Überwachungskameras aufzuhängen, wie wir das in der U-Bahn haben. Und auch an besonders gefährdeten Plätzen. Ich wäre auf jeden Fall dafür. Aber wie gesagt, wir müssen davon absehen, jetzt überall Kameras aufzuhängen. Wir brauchen auch Privatsphäre und wir müssen auch Bürgerrechte hochhängen.

Simon: Wie bekommen wir denn ansonsten darüber hinaus mehr Sicherheit?

Högl: Natürlich ist es jetzt richtig, darüber nachzudenken, ob nicht eine Polizeiwache auf dem Alexanderplatz richtig ist, denn der Alexanderplatz, da kommen viele Menschen zusammen, er ist auch in Teilen unübersichtlich. Also ich unterstütze diese Forderung, eine Polizeiwache auf dem Alexanderplatz. Und wenn wir den Fall Alexanderplatz noch mal nehmen: Wir müssen auch städtebaulich etwas verändern. Also wir müssen unsere öffentlichen Räume so gestalten, dass sie nicht dazu einladen, gewalttätig zu werden, sondern dass sie Orte sind, an denen sich alle Menschen wohlfühlen und sich auch sicher fühlen.

Simon: Wie soll denn das gehen, wenn wir jetzt mal bei dem Alexanderplatz bleiben? Die meisten Hörer werden ihn kennen, ein großer, total unübersichtlicher Platz. Wie will man sich da sicher fühlen?

Högl: Sowas kann man immer machen, indem man das städtebaulich so gestaltet, dass dort einsehbare Orte sind. Wir haben ja am Alexanderplatz viele Stellen, an denen niemand sich gerne aufhält, die unübersichtlich sind, die grau sind, die nicht zum Verweilen einladen. Und es gibt viele gute Beispiele in Berlin, auch aus meinem Wahlkreis der Weinbergspark, wo es gelungen ist, aus einem Platz, an dem viel Gewalt ausgeübt wurde, in dem Fall ein Park, in dem Drogen gehandelt wurden, einen wirklich schönen Ort für alle Bürgerinnen und Bürger zu machen, auch unter Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger, der Geschäftsleute, mit guten städtebaulichen Ideen. Und das wünsche ich mir auch für den Alexanderplatz, dass wir darüber nachdenken, wie wir ihn anders gestalten können.

Simon: Um Sicherheit geht es auch bei einer anderen aktuellen Diskussion. Das Bundeskriminalamt geht aus von über 100 Rechtsextremisten, gegen die Haftbefehl erlassen worden ist, die aber untergetaucht sind. Aus dem NSU-Untersuchungsausschuss sind Sie, Frau Högl, als SPD-Obfrau inzwischen an Überraschungen ja gewöhnt. Wie sehr hat Sie diese Nachricht verwundert?

Högl: Also, die hat mich nicht verwundert. Natürlich erschreckt uns das alles, wenn wir das hören, aber ich will Ihnen ganz offen sagen. Ich hoffe jetzt eins, dass nicht dasselbe passiert, was wir in der letzten Woche im NSU-Untersuchungsausschuss auch diskutiert haben, im Jahr 2003 nach dem Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum ist auch darüber diskutiert worden, wie gefährlich Neonazis sind, wie gewaltbereit. Und wie sich das verhält mit denjenigen, die untergetaucht sind, und ob nicht schon längst kleine, sehr extreme Gruppen sich gebildet haben. Da haben wir in der letzten Woche darüber gesprochen mit dem Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Herrn Fritsche, dass damals eine völlige Fehleinschätzung gemacht wurde. Und zwar von Herrn Fritsche. Dass diese Nazis ja keine Gewalt begehen und keine Gewalttaten verübt haben und deswegen letztlich nicht so gefährlich sind. Ich wünsche mir jetzt von Bundesinnenminister Friedrich, dass er diese hundert wirklich versucht, in den Blick zu bekommen, aufspürt, dass er alles daran setzt, dass die festgenommen werden können. Und dass wir eins nicht machen, was leider 2003 gemacht wurde, Rechtsextremismus und Neonazis zu verharmlosen und als letztlich nicht so schlimm darzustellen.

Simon: Das ist die Aktion, die Sie jetzt fordern. Aber wenn man darauf schaut, dass es bislang in Deutschland keinen Überblick anscheinend gibt, bevor nicht zum ersten Mal das Bundesinnenministerium diese Zahlen angefordert hat bei der Justiz, welche Rechtsextremisten untergetaucht sind, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, was ist das? Ist das Nachlässigkeit, Gedankenlosigkeit? Oder was ist der Grund, dass wir so was nicht hatten?

Högl: Ja, Frau Simon, das ist wahrscheinlich eine Kombination aus allem, und das ist das, was wir auch mit unserer Arbeit im Bundestagsuntersuchungsausschuss beleuchten wollen. Das darf es nicht mehr geben, weder Nachlässigkeit, noch Verharmlosung, noch nicht richtig hingucken. Und es ist auch so, dass jetzt alle Bundesländer und der Bund zusammenarbeiten müssen. Auch das haben wir ja schon festgestellt, dass da nicht gut zusammengearbeitet wird und deswegen zum Beispiel Informationen über untergetauchte Rechtsextremisten gar nicht ausgetauscht werden. Und deswegen müssen wir, wenn wir diese Zahl Hundert hören, jetzt an dieser Stelle lernen aus dem, was wir schon herausgefunden haben im Untersuchungsausschuss und was falsch gemacht wurde damals, als die Zwickauer Terrorzelle untergetaucht ist.

Simon: Aber diese Forderung nach besserer Zusammenarbeit der Länder, die gibt es ja nun schon lange. Und es hat sich selbst in der aktuellen Diskussion gezeigt, wie schwer das praktisch ist, da voranzukommen. Was macht Sie denn da zuversichtlich, dass das besser wird?

Högl: Also, ich meine, wenn wir jetzt nichts lernen aus dieser bundesweiten Mordserie, bei der zehn Personen hingerichtet wurden von der Zwickauer Terrorzelle, wenn wir daraus jetzt nichts lernen und alle Beteiligten ihre Eitelkeiten an die Seite legen und sagen, ganz egal, ob es meine Kompetenz ist oder ob ich eigentlich zuständig bin, ich tausche die Informationen aus, ich sehe zu, dass meine Kollegen aus dem anderen Bundesland genauso informiert sind. Wenn wir das jetzt nicht lernen, dann weiß ich es auch nicht. Das muss jetzt einfach erfolgen.

Simon: Gehen Sie eigentlich eins mit der Meinung von Kollegen von Ihnen, die sagen, diese hundert, die untergetaucht sind und von denen man nicht weiß, was aus ihnen wird, obwohl es Haftbefehl gegen sie gibt, sind ein deutlicher Beleg, dass die Zwickauer Neonazizelle alles andere als ein isoliertes Phänomen ist?

Högl: Ja, das sehe ich ganz genauso. Also das ist ja die große Sorge, die wir haben, dass erstens es Nachahmer und Nachahmerinnen gibt. Und zweitens, dass die Zwickauer Terrorzelle nicht die einzige war. Und deswegen müssen wir besonders sensibel sein. Denn das ist auch ganz klar: Die Zwickauer Terrorzelle hat sich letztlich - das hört sich brutal an - den Föderalismus zunutze gemacht. Das sehen wir ja jetzt bei der Aufarbeitung, dadurch, dass sie die Taten in verschiedenen Bundesländern begangen hat, in ganz anderen untergetaucht ist und in wieder anderen Banküberfälle verübt hat. Und deswegen appelliere ich jetzt wirklich an alle, die dafür zuständig sind, in Polizei, beim Verfassungsschutz und bei der Justiz, sich jetzt ganz sorgfältig Gedanken zu machen, was zu tun ist, sich die hundert Fälle anzuschauen und wirklich zu gucken, welche Maßnahmen zu ergreifen sind.

Simon: Frau Högl, man hört es heraus: Sie haben durch Ihre Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss unter anderem auch einen anderen Blick auf den deutschen Föderalismus bekommen. Wie sonst noch verändert eigentlich eine solche Arbeit den Blick auf unsere Gesellschaft?

Högl: Also, ich hätte ehrlich gesagt mir nicht vorstellen können, dass an so vielen Stellen in unseren Sicherheitsbehörden Rechtsextremismus doch letztlich so verharmlost wird und als nicht so gefährlich angesehen wird. Das war mir nicht so klar. Und dass das flächendeckend der Fall war und ich ja irgendwann auch dazu gekommen bin zu sagen, unsere Sicherheitsbehörden sind auf dem rechten Auge blind, das hat mich wirklich nachträglich geprägt bei meiner Arbeit jetzt auch. Und da setze ich auch an bei meinem Engagement. Das darf nie wieder passieren. Und dann will ich Ihnen auch ganz offen sagen, dass ich nicht wusste, wie wenig letztendlich unser Verfassungsschutz weiß über Rechtsextremismus. Es gab ja viele gute Beispiele, wo Straftaten verhindert werden konnten, wo der Verfassungsschutz auch wertvolle Informationen geliefert hat, aber beim Thema Rechtsextremismus, muss ich sagen, da war der Verfassungsschutz im Bund und in den Ländern, obwohl er an vielen Stellen nahe dran war, doch sehr ahnungslos.

Simon: Die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl, Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss. Frau Högl, vielen Dank für das Gespräch.

Högl: Danke schön, Frau Simon.

Simon: Auf Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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